Anderswo gemeinsam – hier einsam

Wer einmal alleine gereist ist, wird im Ausland die heilsame Erfahrung gemacht haben, dass man seltenst alleine isst. Und selbst wenn ich einmal alleine essen wollte, so wurde ich doch stets an den Tisch zu anderen ran gewunken oder man hat sich mit “ist hier noch frei?” schnell an meinen Tisch eingeladen. Welch wundervolle Menschen trifft man so beiläufig, wenn man eigentlich nur in Ruhe einen Kaffee trinken wollte. Bereut habe ich es nie. Ich habe die ehrlichsten Geschichten gehört, die das Leben schreibt, habe mehr über Land und Leute erfahren, als es je ein Reiseführer abbilden könnte. Während meiner Südamerikareise belohnte ich mich nach einem langen Tag mit einem Abendessen in einem Restaurant und plante danach früh ins Bett zugehen. Ich hatte die Rechnung ohne die kontaktfreudigen Chilenen gemacht. Innerhalb von kürzester Zeit füllten sich die leeren Plätze an meinem Tisch. Immer mehr kamen dazu, fragten und interessierten sich für mein warum, wieso, woher und wohin. Wir redeten über das hier und jetzt, wie toll der Ort sei und wie gut man hier feiern könnte. Sie würden, wie immer, gleich Tanzen gehen. Und irgendwie war nach dieser kurzen Konversation keine Chance mehr der Feierlaune der Einheimischen zu entkommen. Nicht das ich Lust bekommen hätte, ein Nein wurde einfach nicht akzeptiert. Alle Ausreden, von müde, keine sauberen Klamotten, kein Bargeld oder das man morgen sehr früh aufstehen wolle, halfen nicht. Ich musste mit. Ich gehörte dazu. Für den Moment war ich eine von ihnen und sie gaben mir das Gefühl, dass es wirklich von Bedeutung ist, dabei zu sein. Es wurde einer meiner schönsten Feier-Abende.

Wieder zurück in Deutschland frage ich mich, warum gibt es hier nicht diese warme Offenherzigkeit gegenüber Fremden. Haben wir Deutschen Angst was zu verlieren, wenn wir Freude und Zeit miteinander teilen? Was geht in unseren Köpfen vor, wenn wir uns lieber an den freien Einzeltisch setzen, als die lange Tafel mit anderen zu teilen? Da ich mich selber nicht davon ausnehmen konnte, beantworte ich die Frage für mich wie folgt: Ich hatte Angst davor ungebeten oder nicht erwünscht zu sein. Das große Damoklesschwert der Zurückweisung schwebte über meinem Kopf bei jeder Kontaktaufnahme mit mir Unbekannten. Retrospektiv verstehe ich heute meine Angst und die daraus resultierende Zurückhaltung. Es ist kulturell bedingt. Wir Deutschen lernen, dass man Fremde nicht stört. Als Kind wird man davon abgehalten auf Fremde zuzulaufen. “Tobias, lass den Mann in Frieden” und “Komm her Lena, die Frau will ihre Ruhe” hört man wenn lebensfrohe, neugierige Kinder auf andere Menschen zugehen. Dabei wissen wir doch gar nicht, ob die ältere Dame sich nicht über ein schelmisches Kinderlächeln und ein “Wie heißt du?” freuen würde. Wir wachsen in dem Glauben auf anderen zu Last zu Fallen, wenn wir sind wie wir sind: offen, kontaktfreudig, neugierig. Das muss nicht so sein. Sehen kann man das vor allem in den südländischen Kulturen, wenn wir reisen und nicht nur das Land besuchen, sondern auch seine Menschen kennenlernen. Dort wird weniger Rücksicht auf eventuelle persönliche Befindlichkeiten genommen. Charme und Charisma werden zu den entscheidenden Charaktereigenschaften im Umgang miteinander. Anstatt jemand eine grumelige Laune zuzugestehen, wird mit Heiterkeit und Frohsinn das Gemüt erhellt. Und falls doch mal jemand einem anderen unangenehm zu Nahe tritt, so wird die Situation mit Humor und Liebreiz schnell positiv aufgelöst. Das nehme ich mir seitdem zum Vorbild. Warum nicht mehr Miteinander wagen und der Geselligkeit eine Chance geben. Und bis ich das wirklich verinnerlicht habe, freue ich mich über jeden charmanten Italiener, jede offenherzige Spanierin und alle anderen Konversationsfreudigen, die meine persönliche Komfortzone regelmäßig untergraben und damit mein Leben reicher machen.